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Freitag, 8. Juli 2016

Chemtrails im Landtag

Der in den letzten Jahren stark gestiegene Flugverkehr hat zur Folge, dass auch die Kondensstreifen zahlreicher geworden sind. Dies wiederum lenkt die Aufmerksamkeit auf den Umstand, dass sich die Abgase von Flugzeugen in Abhängigkeit von Wetterlage und Flughöhe unterschiedlich schnell auflösen. Manche Menschen hängen daher dem letztlich auf mangelnder Sachkunde beruhenden Glauben an, es handele sich um giftige „Chemtrails“, denen eine Verschwörung finsterer Mächte (meist aus den USA) zugrunde liege, die aus unerfindlichen und in der Szene kontrovers diskutierten Gründen diverse ebenfalls nicht exakt feststehende Chemikalien über den Menschen ausgießen.
  
Dass es sich dabei um groben Unfug handelt, liegt im Grunde auf der Hand und ist durch Heranziehung sachkundiger Quellen relativ leicht feststellbar. Indes ist es ein Kennzeichen von Verschwörungsjunkies, dass sie ein stabiles Immunsystem gegenüber Tatsachen entwickelt haben.

Und an dieser Stelle kommt der niedersächsische Landtagsabgeordnete Martin Bäumer von der CDU ins Spiel. Dieser offenbar nicht hinreichend ausgelastete Parlamentarier machte sich bereits im vergangenen Jahr zum Sprachrohr „besorgter Bürger“ und startete eine kleine Anfrage, in der er nach den Erkenntnissen der Landesregierung zu den Chemtrails fragte. Das sorgte für Heiterkeit, der Forderung nach Verleihung des „Goldenen Aluhuts“ an den wissbegierigen Abgeordneten, dröhnendem Schweigen der eigenen Fraktion und einer ernsthaften Antwort der Landesregierung, in der dargelegt wurde, dass es keine Chemtrails gibt.

Nun funktionieren Verschwörungstheorien nach dem Prinzip der Bielefeld-Verschwörung, dem zufolge ihre Kritiker automatisch Teil der Verschwörung sind. Die Antwort konnte daher nicht zur Zufriedenheit der Chemtrail-Gläubigen und ihres parlamentarischen Repräsentanten ausfallen. Der gelernte Sparkassenkaufmann hat daher noch einmal nachgelegt und eine umfangreichen Fragenkatalog vorgelegt, dessen Beantwortung sogleich unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes zu den Fragerechten der Abgeordneten ultimativ eingefordert wird.

An dieser Stelle allerdings hört der Spaß auf: Zunächst stellt sich die Frage, ob die Rechtsprechung zum Recht auf Beantwortung kleiner Anfragen ernsthaft den Zweck haben kann, den Abgeordneten von der Verpflichtung zu entbinden, erst einmal eine gängige Suchmaschine zu bedienen, bevor der Verwaltungsapparat des Landes in Bewegung gesetzt wird. Dies gilt hier um so mehr, als die abwegigen und mit willkürlichen Zitaten unterfütterten Fragen zum Geo-Engineering letztlich darauf hinauslaufen zu beanstanden,  dass die Landesregierung nicht längst aus eigenem Antrieb offenbar für dringlich erachtete Messungen zur Klärung (s)eines Chemtrail-Verdachts veranlasst habe.

Die Antwort der Landesregierung fiel denn auch erwartungsgemäß aus. Auf insgesamt 9 Seiten wird auf die einschlägigen rechtlichen Vorgaben des Immissionsschutzrechts und zur Wasserreinhaltung verwiesen. Für weitergehende Untersuchungen, die der paranoide Parlamentarier namentlich mit Blick auf die von Chemtrail-Gläubigen vermuteten Elemente Aluminium und Barium forderte, sieht die Landesregierung keinen Anlass (LT-Drs. 17/5996). Damit hat sich die Landesregierung für den Aluhut-Abgeordneten endgültig verdächtig gemacht: Die Weigerung der Landesregierung, entsprechende Untersuchungen anzustellen, erwecke den Eindruck, "man habe etwas zu verbergen". 

Tatsächlich in Rede steht indes nur ein evidenter Missbrauch des Fragerechts der Abgeordneten, indem ohne rational begründbares Informationsinteresse erhebliche Ressourcen gebunden und auch Kosten verursacht werden.

Die eigene Fraktion schweigt weiter zu dem seltsamen Treiben ihres Mitglieds. Allerdings ist der Abgeordnete Bäumer einstimmig zum Spitzenkandidaten seiner Parteigliederung für die bevorstehenden Kreistagswahlen im Osnabrücker Land nominiert worden. Ein Chemtrail-Troll als Kreistagskandidat der CDU – das ist eine neue Dimension der Peinlichkeit.