Mit einem jetzt
knapp ein Jahr alten Urteil vom 14. Februar 2017 hat das OLG Koblenz einen
Antrag eines Jugendamtes auf Einrichtung einer Amtsvormundschaft für einen ohne
Papiere eingereisten Flüchtling aus (mutmaßlich) Gambia abgelehnt (13 UF
32/17), der geltend macht, in seinem Heimatland zu Unrecht der Beteiligung an einer Straftat verdächtigt zu werden. In seinem Beschluss geht das Gericht zunächst der (zweifelhaften)
Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach, lässt diese aber im Ergebnis offen, weil
es an Gründen für die begehrte Anordnung fehle, denn der (mutmaßlich) 1998
geborene Betroffene sei auch nach gambischem Recht mittlerweile volljährig.
Dabei
hätte es sein Bewenden haben können. Zielstrebig
steuert der Senat gleichwohl auf den Höhepunkt der Entscheidung zu. Zunächst heißt es weiter, es fehle
auch an einem „Fürsorgebedürfnis": Zum einen wäre bei „Anwendung der geltenden
Gesetze ... mit einem zeitlich überschaubaren Aufenthalt des Betroffenen in
Deutschland zu rechnen“ (Rn. 53), zum anderen sei auch ein „Bedürfnis, Rechtsgeschäfte
von größerem Umfang abzuschießen [sic!], ... bei dem Betroffenen nicht
ersichtlich (Rn. 55). Und schließlich die zentrale Erkenntnis: Dem Betroffenen
drohe auch keine Strafverfolgung. Zwar habe er sich durch die unerlaubte
Einreise strafbar gemacht (§§ 95 Abs. 1 Nr. 3, 14 Abs. 1 Nr. 1, 2 AufenthG). Aber (Tusch!):
„Die rechtsstaatliche Ordnung
in der Bundesrepublik ist in diesem Bereich jedoch seit rund eineinhalb Jahren
außer Kraft gesetzt und die illegale Einreise ins Bundesgebiet wird momentan de
facto nicht mehr strafrechtlich verfolgt“ (Rn. 58).
Dieser
Satz ist eine Frechheit: Er ist sachlich falsch und verknüpft Sachverhalte, die
nichts miteinander zu tun haben.
1. Der
Betroffene war erst im November 2016 eingereist.
Ein Zusammenhang mit den Flüchtlingsbewegungen des Jahres 2015 besteht daher
nicht. Eine Entscheidung darüber, ob und wie die Strafbarkeit der passlosen
Einreise in diesem Falle verfolgt wird, war zum Zeitpunkt der Entscheidung des OLG noch nicht zu
erwarten.
2. Es ist
durchaus zweifelhaft, ob sich die 2015 eingereisten Flüchtlinge überhaupt
strafbar gemacht haben. Der Annahme, auch die Bundeskanzlerin habe sich in
diesem Zusammenhang strafbar gemacht, ist mit guten Gründen unter Hinweis auf das Fehlen einer strafbaren „Haupttat“ entgegen getreten worden.
Davon
unabhängig waren schon bis Mitte 2016 Verfahren wegen unerlaubter Einreise im oberen sechsstelligen Bereich anhängig. Es
mag sein, dass diese Verfahren überwiegend eingestellt wurden. Dafür kann es
unterschiedliche Gründe geben. Nach Maßgabe der Strafdrohung handelt es sich um
Bagatellkriminalität, die Strafbarkeit ist zweifelhaft (s.o.), die Schuld
jedenfalls gering, und die Verhängung von Geld- oder Freiheitsstrafen gegen
Flüchtlinge, die in Flüchtlingsheimen am Existenzminimum leben, ist in ihrer
Sinnhaftigkeit ohnehin zweifelhaft. Davon unabhängig gilt: Dass die staatliche Organisation nicht funktioniert und dem Legalitätsprinzip nicht entsprochen
würde, lässt sich nicht feststellen.
3.
Es ist unklar, was den Senat in Koblenz veranlasst hat, alternative Fakten zu
verbreiten. Jedenfalls war das Vorhaben erfolgreich. In rechtsgerichteten
Kreisen und unter Verschwörungstheoretikern macht das Urteil die Runde. Dort
muss es zu allem Möglichen herhalten: Von der angeblichen kriminellen Energie
der Regierung bis zum bevorstehenden Zusammenbruch der staatlichen Strukturen und
dem Untergang des Abendlandes. Richter Maier von der AfD hätte das auch nicht
besser hingekriegt.
Indes: Richter sind Teil der
staatlichen Gewalt und damit Grundrechtsadressaten, nicht Grundrechtsträger. Für
sie gilt zwar die richterliche Unabhängigkeit. Diese ist aber Korrelat der
richterlichen Gesetzesbindung und nicht ein Freibrief für beliebigen Unfug.