Aufatmen bei der Piratenpartei (sowie den wahlarithmetisch kundigen
Teilen der CDU): Die „Piraten“ sind nach anfänglichen Irritationen zu den
Landtagswahlen in Niedersachsen mit einem Landeswahlvorschlag zugelassen worden.
Hierüber hatte es im Vorfeld der Zulassungsentscheidung einige Diskussionen
gegeben, die darauf beruhten, dass Einwendungen gegen die Zulassung erhoben worden waren, die insbesondere damit begründet
wurden, dass Bewerbern bei der Kandidatenaufstellung unterschiedlich lange
Redezeiten eingeräumt worden seien. Der Landeswahlausschuss hat sich gleichwohl
für die Zulassung des Wahlvorschlags entschieden. Nicht überliefert ist, ob die erhobenen Vorwürfe für unzutreffend oder unerheblich
gehalten wurden. Die Frage bleibt daher, ob (unterstellte) Unregelmäßigkeiten bei
einer Kandidatennominierung ein hinreichender Grund für die Zurückweisung eines
Wahlvorschlages sein können.
Innerparteiliche Vorgänge bei der Kandidatennominierung sind
erst seit den 90er Jahren ein Thema des Wahlrechts: In Zusammenhang mit der
erfolgreich erzwungenen Wiederholung einer Bürgerschaftswahl in Hamburg durch
den (vormaligen) CDU-Bewerber und (nachmaligen) Vorsitzenden der STATT-Partei
Markus Wegner hat das Hamburger Verfassungsgericht diese „black box“ des Wahlrechts
ausgeleuchtet und in einer Entscheidung vom Mai 1993 unzureichende Möglichkeiten
eines Kandidaten zur Vorstellung von Person und Programm als
Wahlanfechtungsgrund durchgreifen lassen. Auf Basis dieser Entscheidung könnte
man folglich zu dem Ergebnis gelangen, dass auch unterschiedlich lange
Vorstellungszeiten der Bewerber einen zur Wahlanfechtung berechtigenden
Wahlfehler bilden können. Zur Vermeidung einer erfolgreichen Wahlanfechtung müsste folgerichtig
schon der Wahlvorschlag zurückgewiesen werden. Indes birgt auch die
Zurückweisung des Wahlvorschlags einige Risiken, denn wenn sich herausstellen
sollte, dass der (mutmaßliche) Fehler nicht vorliegt, wäre der Wahlvorschlag zu
Unrecht zurückgewiesen und damit das aktive und passive Wahlrecht der Wähler
und der zu Wählenden verletzt worden. Dies kann weitere Auswirkungen haben: So ist
auf Basis der gegenwärtigen Umfragen eine Regierungsbeteiligung der CDU in Niedersachsen nur in
einer großen Koalition möglich, die umso wahrscheinlicher wird, je mehr
kleinere Parteien in den Landtag einziehen.
Wollte man jeden Fehler bei der Nominierung von Kandidaten für potentiell erheblich halten,
so wären die Parteien aber mit erheblichen Nachweispflichten und die Wahlorgane
mit umfassenden Prüfpflichten belastet, ohne dass hierdurch rechtssichere
Wahlen gewährleistet wären. Es liegt auf der Hand, dass die Verfassung und das Wahlrecht
dies nicht fordern können. So will auch das Bundesverfassungsgericht einen Fehler
bei der Kandidatenaufstellung zwar nicht generell für unerheblich halten.
Rechtserheblichkeit soll ein solcher Wahlfehler aber nur im Falle der
Nichteinhaltung eines „Kernbestandes an Verfahrensgrundsätzen“ beanspruchen
können, ohne die ein Kandidatenvorschlag nicht Grundlage einer demokratischen
Wahl sein könne (BVerfG, Beschl. v. 20.10.1993 – 2 BvC 2/91, Rn. 44 = E 89,
243, 252 f.). Leider hat das Bundesverfassungsgericht vergessen
mitzuteilen, welche Grundsätze und Prinzipien über den ausdrücklich genannten –
und auch wahlrechtlich besonders gesicherten – Grundsatz der geheimen Wahl
hinaus noch gelten sollen; zumindest das autonome Satzungsrecht der
Parteien gehört nicht dazu. Das Landeswahlrecht bildet die verfassungsrechtlichen
Vorgaben aber jedenfalls dadurch ab, dass über die Wahlzulassung in einem
formalisierten Verfahren entschieden wird, in dem ein Wahlvorschlag grundsätzlich
zuzulassen ist, wenn er die in §§ 15 ff. LWahlG Nds. normierten Voraussetzungen
erfüllt. Dazu gehört eine eidesstattliche Versicherung, dass die Kandidatenaufstellung
in geheimer Wahl erfolgte und die Listenreihenfolge korrekt ist (§ 18 Abs. 4
Satz 2, Abs. 5 Satz 2 LWahlG Nds.). Auf einen etwaigen Fehler bei den Redezeiten
kommt es danach nicht an. Ein solcher Fehler bei der Kandidatenaufstellung kann
parteiintern kritisiert (und rechtlich angegriffen) werden, bildet aber kein
Hindernis für die Zulassung des Wahlvorschlags.
Auch eine nachträgliche Wahlanfechtung nach erfolgter Zulassung
hätte im Übrigen nur geringe Erfolgsaussichten: Die Entscheidung des
Hamburgischen Verfassungsgerichts ist zu Recht kritisiert worden, weil die Relevanz
des angenommenen Wahlfehlers für die Sitzverteilung im Parlament zu Unrecht bejaht
wurde, denn entgegen der merkwürdigen Ansicht des Hamburger Verfassungsgerichts
(Urt. v. 03.05.1993 – 3/92, Rn. 150 = DVBl. 1993, S. 1070, 1073) kommt es für
die sog. „Mandatsrelevanz“ nicht darauf an, wie das Volk in Kenntnis des
Wahlfehlers gewählt hätte; maßgeblich ist vielmehr der hypothetische Geschehensablauf
ohne Wahlfehler. Dass es zu einer anderen Kandidatenreihenfolge gekommen wäre und
sich eine geänderte Reihenfolge auf die Stimmabgabe der Wähler signifikant
ausgewirkt hätte, ist aber eher fernliegend.
Ein Kuriosum am Rande bildet der Umstand, dass offenbar
selbst Mitglieder der Piratenpartei für die Nichtzulassung des Wahlvorschlags
geworben haben. Man kann einer Partei ihre Mitglieder schlecht vorhalten, denn die
Mitgliedschaft in einer Partei ist schnell begründet, der Ausschluss eines
Mit- glieds gegen seinen Willen demgegenüber an strenge Voraussetzungen (§ 10
Abs. 4 PartG) geknüpft. Ein Mitglied muss hierfür vorsätzlich gegen die Satzung
oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstoßen und ihr damit
schweren Schaden zugefügt haben. Parteien sind indes durch ihren Willen zur Mitwirkung
an der politischen Willensbildung in Parlamenten und damit die Bereitschaft zur
Teilnahme an Wahlen definiert (§ 2 Abs. 1 und 2 PartG). Ein wesentlich stärker parteischädigendes
Verhalten als die Vereitelung der Zulassung eines Wahlvorschlags ist daher kaum
denkbar.