Bislang war der Sänger Xavier Naidoo eher durch eine Form
der Betroffenheitslyrik aufgefallen, die von ferne an Gesang gemahnt, bei
näherem Hinhören aber nur eine hektische Suche nach Ab- oder Umschaltknöpfen
auszulösen vermochte. Dies ist indes eine hinreichende Qualifikation, um
von der öffentlich-rechtlichen Künstlerverwaltung
des NDR für eine internationale Veranstaltung ausgesucht zu werden, in der Künstler
aus dem Werk- und Wirkbereich der Musik als Repräsentanten ihres Landes in
einen bizarren Wettbewerb um Länderpunkte geschickt werden.
Oder auch nicht: Nachdem die Nominierung zum ESC unter
Hinweis insbesondere auf zwei Reden, die der Sänger am 3. Oktober 2014 in Berlin
gehalten hat, sowie zweifelsfrei antisemitische Textstellen als Teil verschwörungstheoretischen
Liedguts („Raus aus dem Reichstag“) in einem auch sonst außerordentlich befremdlichen
Œuvre scharf kritisiert worden ist, wurde die Nominierung kurzerhand wiederzurückgezogen.
Das soll nun aber auch wieder nicht richtig sein. Es liegt
nahe, dass diejenigen, die ohnehin die Annahmen der Reichsbürger und vergleichbarer
Verschwörungstheoretiker verbreiten, in der Kritik an der Nominierungsentscheiung und dem nachfolgenden Rückzug des NDR gerade die dunklen
Mächte am Werke sehen, auf die auch der Sänger gern verweist. Aber auch anderweitig wird dem NDR nun mangelnde Standfestigkeit vorgeworfen. In diesem
Zusammenhang immer wieder gern bemüht: Die Meinungsfreiheit gerade auch des
Künstlers.
Das allerdings ist verfehlt: Das Grundrecht der Meinungsfreiheit
schützt die Möglichkeit, Meinungen in „Wort, Schrift oder Bild“ sowie auch mittels
gesangartiger Darbietungen zu verbreiten. Dieses Recht unterliegt nur äußersten
Grenzen zum Schutze kollidierender Rechtsgüter, die durch Art. 5 Abs. 2 GG
vorgezeichnet und etwa durch das Strafrecht (Beleidigungsdelikte, Volksverhetzung)
konkretisiert werden. Entgegen einer in rechtspopulistischen Kreisen offenbar
verbreiteten Sichtweise gehört zum Grundrecht aber weder ein Anspruch auf Gehör
noch auf Folgenlosigkeit des eigenen Tuns.
Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass dem Sangeskünstler Naidoo
die Möglichkeit der Verbreitung obskurer Thesen einschließlich in rechten Kreisen
wohlfeiler Angriffe gegen Vertreter des politischen Systems in irgendeiner
Form genommen würde. Wenn Menschen oder Institutionen eine Meinungsäußerung
eines Anderen zur Grundlage von Entscheidungen machen, etwa Verträge nicht
schließen, nicht verlängern oder gar kündigen, so verwirklicht sich indes nur
ein mit jeder Meinungsäußerung einhergehendes Risiko, vor dem das Grundgesetz unabhängig
von der Frage nach den Grundrechtadressaten in keinem Falle schützt. Problematischer ist
dies zwar, wenn die öffentliche Verwaltung, zu der auch der öffentlich-rechtliche
Rundfunk gehört, auf Meinungsäußerungen reagiert, da hier eine
Neutralitätspflicht auch in Bezug auf Meinungsäußerungen besteht. Dies hindert
indes nicht, die Positionen eines Künstlers zu berücksichtigen, wenn dieser als
Vertreter der ganzen Nation an einem internationalen Wettbewerb teilnehmen
soll, mag dieser auch noch so seltsam sein.
Dass der NDR nach der Auswahl eines ungeeigneten
Repräsentanten die Notbremse gezogen hat, ist daher rechtlich nicht zu
beanstanden.