Die „Bild“ hat gestern eine Doppelseite einem ausdrücklich
als solchen bezeichneten „Pranger“ gewidmet, auf dem eine größere Zahl
rechtsgerichteter und / oder fremdenfeindlicher Äußerungen unter Nennung des
Namens der Urheber aufgeführt waren, die zunächst in sozialen Netzwerken –
namentlich Facebook – veröffentlicht worden sind. In dem Begleittext wird ein
Zusammenhang zwischen geistiger Brandstiftung und daran anknüpfenden Taten
hergestellt („Aus Haßparolen wird Gewalt“), wie er im Anschluss an das Attentat
auf die (zwischenzeitlich gewählte) Kölner OB-Kandidatin H. Reker auch anderweitig formuliert worden ist.
Aber die „Bild“ kann machen, was sie will: Sie macht sich
keine Freunde. Zu Recht wird verschiedentlich hervorgehoben, dass es gerade
angesichts jahrelanger Desinformationskampagnen (nicht nur) in Bezug auf
Muslime gerade der „Bild“ gut anstünde, sich nicht zu sehr über andere zu
erheben. Die Angelegenheit wird indes auch aus rechtlichem Blickwinkel
kritisiert. So sieht „bildblog“ die „Bild“ im Mittelalter verweilen und
kritisiert unter Bezugnahme auf eine anwaltliche Stellungnahme eine Verletzung
von Persönlichkeitsrechten und einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung.
Anderswo sieht man das ähnlich: Auf der Website des Kopp-Verlages sieht man
ebenfalls die Meinungsfreiheit „zurück im Mittelalter“ und kritisiert eine
„Schnellverurteilung“. Auch die sonst üblichen Stichworte im Falle von Kritik
an „abweichenden“ Meinungen fehlen dort natürlich nicht („Klima der Angst“, „Denkverbote“,
„Zensur“).
Der „bildblog“, heute Arm in Arm mit den rechtsgerichteten
Verschwörungstheoretikern vom Kopp-Verlag im tapferen Kampf gegen den
Tugendterror der „Bild“ – bewaffnet mit Meinungsfreiheit,
Unschuldsvermutung und Persönlichkeitsrechten?
Was ist da los? Ist das Ganze wirklich empörend und auch rechtlich fragwürdig?
Im Ergebnis dann doch eher nicht.
Die „Bild“ veröffentlicht Aussagen von Personen unter Nennung ihres Namens, die von den Urhebern selbst unter Angabe des Klarnamens in
einem sozialen Netzwerk veröffentlich wurden.
Es darf daher bezweifelt werden, dass die – zunächst einmal isoliert
betrachtete – Veröffentlichung einer von dem Urheber anderweitig
veröffentlichen Äußerung in einer Zeitung geeignet ist, die
Persönlichkeitsrechte des Urhebers zu verletzen. Wer sich öffentlich äußert,
läuft Gefahr und muss damit rechnen, dass andere die Äußerung zur Kenntnis
nehmen und auch weitertragen; dies kann dann auch in der „Bild“ geschehen“. Ein
schutzwürdiges Interesse, dabei nicht namentlich genannt zu werden, ist
ebenfalls nicht ohne Weiteres zu erkennen, wenn die betreffende Äußerung von
ihrem Urheber offen unter Angabe des Namens getätigt wurde.
Die weitere Frage ist aber, ob dies auch im Kontext eines
„Prangers“ geschehen darf. Indes: Der treuherzige Spruch, man werde irgendetwas
„doch noch mal sagen dürfen“, geht typischerweise am Thema vorbei, weil man
selbstverständlich alles Mögliche sagen darf, solange die – zu Recht eng
gezogenen – Grenzen der Strafbarkeit wegen Beleidigungsdelikten (§§ 185 ff.
StGB) oder Volksverhetzung (§ 130 StGB) nicht überschritten werden. Der Wunsch,
etwas „noch mal sagen zu dürfen“, zielt daher letztlich darauf ab, etwas auch
im Übrigen ungestört und folgenlos – am besten auch noch unkritisiert – sagen
zu dürfen.
Das aber ist eine grobe Fehlvorstellung: Wer sich mit
Meinungsäußerungen oder gar Statements des von der „Bild“ offengelegten Kalibers
in die Öffentlichkeit begibt, kann nicht erwarten, dass derartige Äußerungen
unwidersprochen bleiben. Ein Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit, mit Zensur
oder Denkverboten besteht entgegen dem zielsicher neben der Sache liegenden
Kommentar auf der Seite des Kopp-Verlages gerade nicht, denn andere
gesellschaftliche Kräfte einschließlich der Medien haben weder Befugnis noch
Möglichkeit, das Äußern oder Publizieren von Meinungen zu zensieren oder zu
verbieten. Sie sind andererseits aber auch nicht verpflichtet, Äußerungen stets
gutzuheißen oder unkommentiert zu belassen. Vielmehr ist es gerade eine
Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit, die Ablehnung einer Äußerung zum Ausdruck
zu bringen oder auch deren Strafwürdigkeit zu postulieren.
Es besteht daher letztlich auch kein Zusammenhang mit der
Unschuldsvermutung: Dass die „Bild“ verbindlich über die Strafbarkeit der
inkriminierten Äußerungen entscheiden könne, wird selbst der durchschnittliche
„Bild“-Leser nicht annehmen. Auch die Unschuldsvermutung schützt daher nicht
davor, dass eine nichtstaatliche Stelle wie die „Bild“ die Ablehnung einer
Äußerung zum Ausdruck bringt oder gar deren Strafbarkeit postuliert; ein
Übergriff in die Kompetenzen der Strafverfolgungsbehörden steht bei einer
Aufforderung zu deren Eingreifen ebenfalls nicht in Rede. Schon logisch unrichtig
ist weiter, dass mit der Veröffentlichung der Namen potentieller Straftäter
zugleich eine Verurteilung erfolge. So darf bezweifelt werden, dass es ein
Anlass für Kritik wäre, wenn jemand erklärte, dass das von dem Schriftsteller
A. Pirinçci soeben in Dresden geäußerte Bedauern über den Nichtbetrieb von KZ in
Deutschland den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle, denn auch eine solche
Reaktion auf die Entgleisung dieses Autors wäre selbstverständlich eine
Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit. Der „Pranger“ der „Bild“ greift auch
nicht „tief in die Grundrechte der einzeln aufgeführten Personen ein“. Dies ist
schon deshalb gar nicht möglich, weil die „Bild“ nicht zu den
Grundrechtadressaten i.S.v. Art. 1 Abs. 3 GG zählt.
Man kann natürlich mit dem „bildblog“ die Frage stellen, was
die „Bild“ mit ihrer Aktion bezweckt und ob ein solcher „Pranger“ für
irgendetwas gut ist. Im Ergebnis ist der „Bild“ jedenfalls eine Provokation
gelungen. Mit „Denkverboten“, „Zensur“ oder Einschränkungen der
Meinungsfreiheit hat der „Pranger“ aber nichts zu tun; auch die
„Unschuldsvermutung“ oder Persönlichkeitsrechte werden nicht berührt. Ein Grundrechts-Biotop, in dem rassistische
Äußerungen kritikfrei gedeihen dürfen, existiert nicht.