Anfang des Monats sorgte ein „Infobrief“ des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages für Aufmerksamkeit, der sich mit der Frage
beschäftige, ob sich kommunale Vertretungen – also (Gemeinde-) Räte oder
Kreistage – mit Freihandelsabkommen, namentlich dem geplanten
Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA beschäftigen dürfen. Dies
wird in dem Gutachten verneint, was sogleich zu empörten Reaktionen führte.
Empörung allerdings ist keine rechtliche Kategorie. Vielmehr kommt es darauf
an, ob die Begründung des Wissenschaftlichen Dienstes für das gefundene
Ergebnis zu überzeugen vermag. Dies ist nicht der Fall: das Ergebnis ist unzutreffend,
die Begründung bei näherem Hinsehen nicht überzeugend.
In seinen Ausführungen stellt der Wissenschaftliche Dienst darauf
ab, dass der Abschluss eines Freihandelsabkommens keine „örtlichen Angelegenheiten“
im Sinne der Definition des Bundesverfassungsgerichts in der „Rastede
Entscheidung“ aus dem Jahre 1988 (BVerfGE 79, 127) betreffe. Zwar wird konzediert, dass der Abschluss eines solchen
Freihandelsabkommens auch Rückwirkungen auf die kommunale Aufgabenerledigung
namentlich im Bereich der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen durch öffentliche
Unternehmen haben könne. Eine individuelle oder spezifische Betroffenheit
einzelner Kommunen werde durch eine solche allgemeine Betroffenheit aber nicht
begründet (S. 6).
Das hält näherer Prüfung nicht stand.
1. Zunächst ist allerdings die Frage aufzuwerfen, ob die
Gewährleistung kommunaler Selbstverwaltung durch Art. 28 Abs. 2 GG hier
überhaupt eingreift, denn bei dem geplanten Freihandelsabkommen TTIP handelt es
sich um eine Vereinbarung, die zwischen der EU und den USA geschlossen werden
soll. Gegenüber Rechtsakten der Europäischen Union können sich kommunale
Gebietskörperschaften aber nicht ohne weiteres auf die grundgesetzliche
Verbürgung kommunaler Selbstverwaltung berufen; immerhin will auch die EU die
regionale und lokale Selbstverwaltung als Teil der nationalen Identität der Mitgliedstaaten
achten (Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV). Indes geht es an dieser Stelle noch nicht darum, ob
das Freihandelsabkommen kommunale Belange in rechtserheblicher Weise
beeinträchtigt. In Rede steht vielmehr die Frage, ob sich kommunale Gebietskörperschaften
zu einer (tatsächlichen) Beeinträchtigung ihrer Belange öffentlich äußern
dürfen oder ihnen dies das Recht des Mitgliedstaates verbietet. Damit aber sind
Reichweite und Wirkung der Garantie kommunaler Selbstverwaltung angesprochen.
2. Die Gewährleistung kommunaler Selbstverwaltung durch das
Grundgesetz (und Landesverfassungsrecht) normiert nicht nur eine Rechtsstellung
der kommunalen Gebietskörperschaften, sondern begrenzt sie zugleich: Sie reicht
– davon geht die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes zutreffend aus –
nicht weiter als die „örtlichen Angelegenheiten“ – also alle Angelegenheiten,
die auf die kommunale Gebietskörperschaften einen spezifischen Bezug haben. Es
ist deshalb seit längerem geklärt, dass Städte, Kreise und Gemeinden nicht
befugt sind, sich zu beliebigen Themen in der politischen Diskussion zu äußern,
die politisch auf Bundes- oder Landesebene zu entscheiden sind. Dies muss
folgerichtig auch dann gelten, wenn etwaige Rückwirkungen auf eine Gemeinde und
ihre Bürger nicht auszuschließen sind, denn derartige Folgen können mit bundes-
oder landespolitischen Entscheidungen stets einhergehen. Beschlüsse, mit denen
sich Gemeinde im Zusammenhang mit dem sog. „NATO-Doppelbeschluss“ in den 80er
Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu „atomwaffenfreien Zonen“ erklärt haben,
wurden daher vom Bundesverwaltungsgericht als (verdeckte) Statements zu einem
verteidigungspolitischen Thema bewertet, die unzulässig seien; allerdings
wurden Stellungnahmen bei Vorliegen einer spezifischen Betroffenheit auch als
zulässig angesehen.
3. Diese Rechtsprechung wird vom Wissenschaftlichen Dienst
des Bundestages in seiner Stellungnahme zutreffend dargestellt; sie
rechtfertigt die daraus sodann gezogenen Schlüsse aber nicht.
a) Zunächst einmal ist ungewiss, inwieweit nach Maßgabe des im
Detail noch unbekannten Inhalts des Freihandelsabkommens einzelne Kommunen in
Abhängigkeit von Umfang, Art und Rechtsform der Erbringung öffentlicher
Dienstleistungen im Bereich der (in Deutschland) so genannten „Daseinsvorsorge“
von den Vereinbarungen in unterschiedlicher Intensität betroffen werden. Es ist
daher schon nicht selbstverständlich, dass die Annahme, alle Kommunen würden im
Ergebnis in gleicher Weise und damit keine von ihnen in besonderem oder
herausgehobenem Maße betroffen, überhaupt zutrifft.
b) Selbst wenn die genannte Annahme zuträfe, so beruht die
Folgerung, dass es an einer örtlichen Angelegenheit und damit zugleich an der Einschlägigkeit
der Selbstverwaltungsgarantie fehle, auf einem Fehlschluss. Es gibt keinen
Rechtssatz des Inhalts, dass örtliche Angelegenheiten nur dann vorliegen, wenn (nur)
einzelne Kommunen in besonderer oder herausgehobener Weise betroffen sind. Der
Ausschluss außen- oder verteidigungspolitischer Angelegenheiten in der
bisherigen Rechtsprechung beruht letztlich darauf, dass es sich um überörtliche
Angelegenheiten handelte, in denen ein spezifischer Bezug zu kommunalen
Belangen ersichtlich zu verneinen war. Anders verhält es sich bei den
Freihandelsabkommen: Es werden alle Kommunen in einem Bereich berührt, der ihre
spezifischen Kompetenzen und Funktionen bei der Erledigung örtlicher Aufgaben
im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen („Daseinsvorsorge“) betrifft. Wenn
indes alle Kommunen in ihrer Aufgabenerfüllung berührt werden, staatliches
Handeln spezifische Auswirkungen auf der örtlichen Ebene zugewiesene
Angelegenheiten hat, kann eine Beeinträchtigung kommunaler Belange nicht schon
dadurch entfallen, dass andere Kommunen in gleicher Weise beeinträchtigt
werden. Eine Beeinträchtigung kommunaler Aufgabenerfüllung ist daher nicht schon
deshalb nicht an der Selbstverwaltungsgarantie zu messen, weil andere Kommunen ebenfalls
in der Aufgabenerfüllung beeinträchtigt werden.
Eine ähnliche Argumentation wie die des Wissenschaftlichen Dienstes hat daher das Niedersächsische
Oberverwaltungsgericht in etwas anderem Zusammenhang schon Anfang des Jahrtausends
zurückgewiesen: In dem dort entschiedenen Fall (Urteil vom 16.08.2001, 10 KN1036/01 u.a.) waren Ortsräte vor ihrer Abschaffung durch Ratsbeschluss nicht angehört
worden. Die betreffende Stadt meinte in Übereinstimmung mit dem Niedersächsischen
Innenministerium, eine solche Anhörung sei nur bei spezifischer Betroffenheit
eines Ortsrats nötig, an der es fehle, wenn alle Ortsräte abgeschafft würden.
Das Oberverwaltungsgericht hat derlei Unfug eine Absage erteilt: „Der Auffassung,
dass „eine wichtige Frage, von der die Ortschaft in besonderem Maße berührt
sein könne, dann nicht anzunehmen sei, wenn die Angelegenheit alle Ortschaften
in gleicher Weise berühre, ... vermag der Senat nicht zu folgen“. Es komme vielmehr
darauf an, ob die Angelegenheit „eine Ortschaft gegenüber anderen Ortschaften
individuell, also nicht nur als räumlichen Teil der gesamten Gemeinde berührt“.
Sei dies der Fall, werde die individuelle Berührung nicht dadurch geringer,
dass alle Ortsräte aufgelöst werden sollen“.
Diese Erwägungen sind auf den vorliegenden Zusammenhang
übertragbar: Durch das Freihandelsabkommen werden kommunale
Gebietskörperschaften in ihrer Aufgabenerledigung und damit nicht nur als „Teil
des Staatsgebiets“ betroffen; für das CETA-Abkommen mit Kanada haben Fischer-Lescano und Horst dies im Einzelnen dargelegt. Diese potentielle Beeinträchtigung ermöglicht
es, dass kommunale Gebietskörperschaften zu diesem Thema auch Stellung nehmen
können.
Im Ergebnis ist daher eine kommunale Befassungskompetenz auch mit Blick auf das TTIP zu bejahen.