Bei der EU-Kommission und anderen Befürwortern des / der
transatlantischen Handelsabkommen liegen offenbar die Nerven blank. Anders ist das
Maß an befremdlichen Thesen, mit der in der jüngeren
Vergangenheit angesichts zahlreicher Proteste gegen TTIP (und CETA) sowie einer
angekündigten Großdemonstration in Berlin am 10. Oktober für ein solches Abkommen getrommelt wird, kaum
noch zu erklären. Zwei Beispiele:
1. In einem Beitrag für den Tagesspiegel behauptet Richard
Kühnel, seines Zeichens „Chef-Lobbyist der EU-Kommission in Berlin“ („Die Welt“),
in allen EU-Handelsabkommen sei die öffentliche Daseinsvorsorge durch
"solide Garantien geschützt". Diese Behauptung bezieht er nicht nur auf
die transatlantische „Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP“, sondern
ausdrücklich auf „sämtliche … Freihandelsabkommen, die die EU aushandelt – zum
Beispiel das CETA-Abkommen mit Kanada und das Dienstleistungsabkommen TiSA“. Einen
Nachweis für diese These anhand von entsprechenden Vorbehalten in den Verträgen
bleibt der EU-Repräsentant aber schuldig. Er würde auch schwerfallen.
Fischer-Lescano / Horst haben schon im vergangenen Jahr im Einzelnen
aufgezeigt, dass vorgesehene Marktöffnungen, das System der „Negativlisten“, das (mindestens) künftige Angelegenheiten
automatisch dem kommunalen Zugriff entzieht, sowie auch die Sperrung von Rekommunalisierungen durch Ratchet-Klauseln massive
Eingriffe in die Möglichkeiten kommunaler Selbstverwaltung bewirken. Ihr Fazit:
„Insgesamt beinhaltet das CETA daher mit der Negativliste, der Ratchet‐Klausel,
der weitgehenden Marktöffnung auch im Bereich kommunaler Dienstleistungen und
dem Verbot von Offsets eine Reihe von Maßnahmen, die – gerade in ihrer
Kombination – die Garantie kommunaler Selbstverwaltung nicht unwesentlich
beeinträchtigen“ (Europa- und verfassungsrechtliche Vorgaben für das
Comprehensive Economic and Trade Agreement der EU und Kanada [CETA], Oktober
2014, S. 32). Aber kommunale Selbstverwaltung hatte aus EU-Sicht stets einen eher
geringen Stellenwert – die Belange multinationaler Konzerne haben da natürlich
Vorrang.
2. Noch zweifelhafter sind die Einlassungen, die der TTIP-Chefpropagandist
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer, in den vergangenen Tagen
präsentiert hat.
Ebenfalls in einem Beitrag für den Tagesspiegel beschwert sich Pfeiffer über eine „professionalisierte Empörungsindustrie“, die „vollkommen
sachfremde Themen“ auf das Abkommen projiziere und TTIP „als
Mobilisierungsinstrument für Ihre [sic] Zwecke“ erkannt habe. Welche Zwecke das sein
sollen und welche sachfremden Themen instrumentalisiert werden, bleibt dabei zwar offen; angesichts eines argumentativ und intellektuell extrem dürftigen
Beitrags, der inbesondere die Notwendigkeit einer "Investitionsgerichtsbarkeit" nicht ansatzweise begründet, wird man aber zivilgesellschaftliches Engagement schon mal als „Empörungsindustrie“
diffamieren dürfen, wenn es sonst schon
zu nichts Lesenswertem langt.
Am 1. Oktober im Bundestag setzte Pfeiffer aber noch eins drauf: Der
Abgeordnete hält es zunächst für angezeigt, die Gegner des Transatlantischen
Abkommens in toto zu einfach strukturierten Zeitgenossen zu erklären, die nicht informiert seien und sich –
gleichsam als nützliche Idioten – vor den Karren angeblicher Bürgerinitiativen
spannen lassen, die Ängste und Emotionen weckten. Anschließend stellte Pfeiffer
„die demokratische Legitimation von Campact, von Attac, von Foodwatch und von
anderen Mitgliedern dieser Empörungsindustrie in Frage“ (im Video ab 11:15).
Im Grunde bedürfen diese Ausführungen keines Kommentars: Wer pauschal
unterstellt, dass die Gegner von TTIP entweder zu dumm zum Erkennen der
segensreichen Wirkungen des Freihandelsabkommens sind oder sich allein von irgendwelchen
– im Dunklen bleibenden – Interessen leiten lassen, kreiert damit nicht
nur eine bizarre Verschwörungsindustrie, sondern erklärt zugleich die komplette
intellektuelle und moralische Insolvenz. Einen kurzen Blick verdienen allerdings die Ausführungen zur
demokratischen Legitimation der den Widerstand gegen das verfassungswidrige Abkommen organisierenden Vereinigungen. Selbstverständlich verfügen Bürgerinitiativen
und andere zivilgesellschaftliche Organisationen über keine demokratische
Legitimation. Ihnen dies vorhalten zu wollen, ist indes besonders perfide, weil
diese Organisationen eine demokratische Legitimation gar nicht benötigen. Demokratische
Legitimation in personeller wie materieller Hinsicht ist eine Voraussetzung für
die Berechtigung zur Ausübung von Staatsgewalt, die aber weder von politischen
Parteien noch von anderen Akteuren politischer Willensbildung ausgeübt wird. Diese
Akteure sprechen nur für sich und die von Ihnen repräsentierten Personen – bei Campact
und Co. sind dies in Bezug auf TTIP mittlerweile immerhin mehr als 3 Millionen.
Die EU-Kommission wird wissen, warum sie die Europäische Bürgerinitiative gegen
TTIP nicht zugelassen hat…