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Montag, 20. Mai 2013

Das Wahrheitsministerium schlägt zu



Ein gelegentlicher Blick aus dem Fenster in den letzten Wochen und Monaten zeigt: Erst will der Winter nicht enden und dann wird es nicht Frühling. Ist das der Klimawandel? Wer an der Veränderung des Klimas noch Zweifel hatte (obwohl Klimawandel wohl „immer“ stattfindet), darf sich nunmehr mit höchster amtlicher Autorität eines Besseren belehrt sehen: Der Klimawandel findet statt – und seine Folgen sind menschengemacht. Das jedenfalls sind die Kernaussagen einer aktuellen Broschüre des Umweltbundesamtes, die unter dem Titel „Und sie erwärmt sich doch“ aus Steuermitteln finanziert und vertrieben wird. Der Titel soll ersichtlich an das (fälschlich) Galileo Galilei zugeschriebene Zitat „Und Sie bewegt sich doch“ erinnern, dass dieser nach seiner Niederlage gegen Staats- bzw. Kirchenmacht gemurmelt haben soll. Indes ist die Broschüre des UBA nicht das Produkt des Wirkens einsamer Streiter gegen eine ignorante und verblendete Übermacht, die mit amtlicher Autorität gegen abweichende Auffassungen vorgeht, sondern ihrerseits ein Produkt amtlichen Handelns (und unbekannter Verfasser), in dem in einer Weise gegen dem „wissenschaftlichen Konsens“ widersprechende Thesen (S. 110) von „Klimawandelskeptiker(n)“ polemisiert wird, dass vom ZDF auf der Seite „heute.de“ ein „amtlicher Rufmord“ diagnostiziert wurde.

Und dies macht die Sache politisch unappetitlich wie rechtlich fragwürdig:

Der verfassungsrechtliche Rahmen für Stellungnahmen und Erklärungen von Regierungsstellen ist seit langem abgesteckt: Staatliche und (kommunale) Stellen können sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen, weil sie nicht Grundrechtsträger (sondern Adressaten der Grundrechte) sind. Da aber das Handeln der Gubernative beständiger Gegenstand politischer Kontroversen ist, steht der Regierung ein selbstverständliches und letztlich in der staatlichen Kompetenzordnung wurzelndes Recht zur Teilnahme an öffentlichen Auseinandersetzungen (unter Wahrung der Verbands- und Organkompetenzen) zu. Auch im Übrigen sind die rechtlichen Vorgaben für informierendes Staatshandeln vom Bundesverfassungsgericht namentlich in der „Glykolwarnung“-Entscheidung (1 BvR 558/91) und der „Osho“-Entscheidung (1 BvR 670/91) vom 26. Juni 2002 umrissen worden. Die Aufgabe der Staatsleitung wird danach nicht zuletzt durch die Verbreitung von Informationen an die Öffentlichkeit vorgenommen (1 BvR 558/91, Rn. 52) Die Bundesregierung hat die Aufgabe, im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf aktuelle Fragen einzugehen (1 BvR 670/91, Rn. 73). Dabei sind indes die Erfordernisse der Richtigkeit und Sachlichkeit von Informationen zu beachten, was – letztlich wohl unter Aspekten der Verhältnismäßigkeit – dazu verpflichten kann, Informationen mit angemessener Zurückhaltung zu formulieren (vgl. 1 BvR 558/91, Rn. 59, s. auch 1 BvR 670/91, Rn. 91).

Auf Basis dieser – durchaus fragwürdigen – Rechtsprechung ist es sicher nicht zu beanstanden, wenn die Bundesregierung darlegt, von welchen tatsächlichen Überzeugungen sie sich bei ihrer Klimapolitik leiten lässt und auf welchen Erkenntnissen diese Überzeugungen beruhen. Befremden müsste demgegenüber schon, wenn eine Regierungsstelle versuchte, denn Stand der Erkenntnis in einer fachwissenschaftlichen Frage verbindlich zu beschreiben, denn dies darf den Fachwissenschaftlern überlassen bleiben. Erst recht ist es weder wissenschaftlich noch rechtlich angängig, wenn wissenschaftliche „Wahrheiten“ – und damit letztlich nur der aktuelle Stand des Irrtums – mit amtlicher Autorität verkündet werden; die Entscheidung fachwissenschaftlicher Kontroversen ist schon keine Staatsaufgabe. Die der Informationstätigkeit des Staates gezogenen Grenzen werden daher überschritten, wenn eine Bundesbehörde eine fachwissenschaftliche Diskussion autoritativ zu entscheiden versucht und Verfechter abweichender Meinungen öffentlich „vorgeführt“ werden.  Der hier vorliegende Versuch einer Regierungsbehörde, eine wissenschaftliche Kontroverse verbindlich zu entscheiden, dürfte denn auch in dieser Form einzigartig sein. Sie stellt eine massive Grenzüberschreitung dar, die in ihrer Anmaßung ein erschütterndes Schlaglicht auf das Selbstverständnis der betreffenden Behörde wirft.