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Donnerstag, 15. Dezember 2016

Bürgerbegehren in Ostfriesland - ein Kommunalskandal



Im Streit um die Errichtung einer neuen Zentralklinik im Landkreis Aurich haben sich schon in der Vergangenheit allerlei Merkwürdigkeiten ereignet. Die neuesten Vorkommnisse in Zusammenhang mit zwei eingereichten Bürgerbegehren haben aber das Zeug zum veritablen Kommunalskandal.


Worum geht es? Gegen die Bestrebungen des Landkreises Aurich, gemeinsam mit der Stadt Emden für mehrere hundert Millionen Euro ein Krankenhaus auf der grünen Wiese unter Schließung der ortsnahen Krankenhäuser zu errichten, hat eine Initiative vor einiger Zeit ein Bürgerbegehren eingereicht, das im Frühjahr vom Landkreis Aurich nach einer Kampfabstimmung über die Rechtsfrage (!) eines hinreichenden Kostendeckungsvorschlags abgelehnt wurde. Nachdem das gesetzliche Erfordernis des Kostendeckungsvorschlags nunmehr entfallen ist, wurde das Bürgerbegehren Anfang November erneut eingereicht. Anfang Dezember reichte eine andere und von der bereits existierenden Trägergesellschaft des neuen Krankenhauses zumindest unterstützte Initiative ein weiteres Begehren ein, das auf die Errichtung der Zentralklinik bei gleichzeitiger Bereitstellung einer 24/7-Notfallversorgung in Aurich, Emden und Norden gerichtet ist.


Dieses Bürgerbegehren führt sogleich zu der Frage, woraus das (Rechtsschutz-) Bedürfnis für ein Anliegen resultieren soll, das inhaltlich im Wesentlichen der Beschlusslage des Rates der Stadt Emden und des Kreistages des Landkreises Aurich entspricht, denn der dem Bürgerbegehren nachfolgende Bürgerentscheid hätte die Wirkung eines Beschlusses der Vertretung (§ 33 Abs. 4 Satz 1 NKomVG). Unter Umfälschung des Pro-Begehrens zu einem Begehren für eine – weder zu organisierende noch zu finanzierende – Notfallversorgung wurden aber jetzt beide Begehren zugelassen. Allerdings soll nur das Begehren zu einem Bürgerentscheid führen, das zuerst die erforderlichen Unterstützungsunterschriften vorlegt.


Ersichtlich mach sich die Verwaltung hier die Welt, wie sie ihr gefällt: Wenn es sich um zwei verschiedene Bürgerbegehren handelt, lässt die Zulässigkeit eines der Begehren die Zulässigkeit des anderen unberührt; im Grunde kann jeder wahlberechtigte Einwohner für beide Begehren unterschreiben. Da hier über die Zulässigkeit der Bürgerbegehren vorab entschieden wurde (§ 32 Abs. 3 Satz 5 NKomVG) haben der Verwaltungsausschuss (Emden) bzw. der Kreisausschuss (LK Aurich) daher nach Einreichung der Unterschriften nur noch zu entscheiden, ob innerhalb der 6-Monats-Frist die nötigen Unterschriften vorgelegt wurden (§ 32 Abs. 7 Satz 2 NKomVG). Die Existenz weiterer Bürgerbegehren ist unerheblich, es sei denn, es wäre bereits ein „verbindlicher“ Bürgerentscheid durchgeführt worden, denn erst nach einem solchen Bürgerentscheid zu demselben Thema ist ein weiterer Bürgerentscheid innerhalb von zwei Jahren grundsätzlich ausgeschlossen (§ 33 Abs. 4 Satz 2 NKomVG).


Das Ganze ist aber noch steigerungsfähig: Wie nunmehr bekannt wurde, hat die Trägergesellschaft der Zentralklinik aus ihr seitens des Kreises bereit gestellten Mitteln, die eigentlich für die Flüchtlingshilfe gedacht waren, eine Werbeagentur beauftragt, die auch Unterschriften für das Begehren zugunsten derZentralklinik sammelt; die Klinikleitung deklariert dies als „Marketingmaßnahmen“.


Damit ist allerdings eine Grenze überschritten worden. Die Trägergesellschaft eines kommunalen Krankenhauses ist auch bei einer Verwendung von Rechtsformen des privaten (Gesellschafts-) Rechts nichts anderes, als ein rechtlich verselbständigter und „ausgelagerter“ Teil der Kreisverwaltung. Ein solches Rechtssubjekt ist nicht grundrechtsberechtigt, sondern grundrechtsverpflichtet und auch im Übrigen an die Vorgaben gebunden, die für die (Verwaltungs-) Tätigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften gelten. Es ist daher eine nachgerade absurde Vorstellung, dass ein Verwaltungsträger aus öffentlichen Mitteln freie Mitarbeiter finanziert, die Unterschriften für ein Bürgerbegehren sammeln. Was kommt als Nächstes? Schwärmen demnächst auch noch die Mitarbeiter der Kreisverwaltung zum Sammeln von Unterschriften aus?

Der Landkreis Aurich und sein Landrat haben sich im Übrigen zu dem Treiben ihres privatrechtlichen Satelliten bislang nicht geäußert; offenbar wird dieses Vorgehen stillschweigend gebilligt. Der Landrat muss sich daher nicht nur nach seinem Amtsverständnis fragen lassen. Wer derartigen Aktivitäten eines ausgelagerten Teils der Kommunalverwaltung tatenlos zusieht, ist für sein Amt erkennbar nicht geeignet.

Nachtrag 16.12.: Wie heute einem Artikel in der "OstfriesischeNachrichten" entnommen werden kann, hat der Auricher Landrat die Reißleine gezogen und ist gegen den Einsatz öffentlicher Mittel für bezahlte Unterschriftensammler eingeschritten. Der Landrat erklärte, er habe "mit einigem Erschrecken" von der Aktion erfahren, mit der "eine gewisse Grenze überschritten worden" sei; die bezahlten Sammler sollen jetzt aus privaten Spenden finanziert werden.