Parlamentsrechtlich interessante Dinge ereigneten sich im Dezember im Landtag von
Mecklenburg-Vorpommern: Ein Abgeordneter der AfD, Professor Ralph Weber, im
Hauptberuf wohl Inhaber einer Professur (für Arbeitsrecht) an der Universität Greifswald,
redete zu Beginn einer Rede die Sitzungsleitung, die die Abgeordnete Sylvia
Bretschneider von der SPD innehatte, mit „Frau Präsident“ an. Daraufhin wurde
er durch die Sitzungsleitung sofort unterbrochen. Diese erklärte, es entspreche
nicht der „Würde des Hauses“, die Präsidentin mit „Präsident“ anzureden. Man
habe keinen „Präsidenten“, das könne sich der Redner gerne wünschen, werde aber
nicht eintreffen, „weil [sic!] das Präsidium ist weiblich“. Es werde erwartet,
dass der Redner die Würde des Hauses achte und die korrekte Anrede verwende.
Man werde sich „diese Respektlosigkeit nicht bieten lassen“. Der Redner
kündigte daraufhin einen Einspruch gegen die Ordnungsrufe an, woraufhin die
Sitzungsleitung wiederum das Wort ergriff und die Lesekompetenz des Redners thematisierte:
In der Geschäftsordnung sei „ganz eindeutig“ geregelt, wie sich der Redner zu
verhalten habe, wenn er gemahnt werde, die Würde des Hauses zu achten. In der
Geschäftsordnung stehe auch drin, „dass die Äußerungen des Präsidiums nicht zu
kommentieren sind“. Es wurde daher wegen des Kommentars ein dritter Ordnungsruf erteilt und dem Redner das Wort entzogen.
Ein Einspruch gegen die Ordnungsrufe ist sodann offenbar am 10. Januar 2017 zurückgewiesen worden.
Dieses Verhalten der Sitzungsleitung ist unabhängig davon, wie man zur AfD steht, eher grenzwertig: Zunächst ist schon nicht ohne Weiteres feststellbar, worin der Zusammenhang zwischen der Anrede der Sitzungsleitung und der „Würde
des Hauses“ besteht. Unabhängig von diesem fraglichen Zusammenhang ist aber jedenfalls
festzustellen: Der Redner hat mit der Wendung „Frau Präsident“ die korrekte Anrede
verwendet. Die Geschäftsordnung des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern kennt
auch in der 7. Wahlperiode keine „Präsidentin“, sondern nur einen „Präsidenten“
sowie Vizepräsidenten und Schriftführer. So heißt es in § 2 der
Geschäftsordnung: „Der Präsident führt die Geschäfte des Landtages (Artikel 29
Absatz 3 LVerf.) und vertritt das Land in allen Rechtsgeschäften und
Rechtsstreitigkeiten des Landtages (Artikel 29 Absatz 5 LVerf.). Er wahrt die
Würde und die Rechte des Landtages, fördert seine Arbeiten und leitet die
Verhandlungen gerecht und unparteiisch“.
Diese Regelung schließt selbstverständlich nicht aus, auch
eine Person weiblichen Geschlechts mit diesem Amt zu betrauen. Es existiert
indes keine Vorschrift, der zufolge in diesem Falle die Amtsbezeichnung in der
weiblichen Form geführt wird. Eine solche Regelung ist auch nicht nötig, da die Amtsbezeichnung
nichts mit dem Geschlecht des Amtsinhabers zu tun hat. Es handelt
sich um eine Funktionsbezeichnung für ein öffentliches Amt, die unabhängig vom
Geschlecht des Amtsinhabers ist - zwischen dem Amt und dem Amtsinhaber ist
insofern zu unterscheiden. Die Bezeichnung „Bürgermeister“
beispielsweise kennzeichnet ein Amt sowie zugleich eine Behörde; diese hat
kein Geschlecht und ist nicht zu verwechseln mit der natürlichen Person, die
das Amt innehat. Dessen ungeachtet ist es mittlerweile im Kommunalrecht üblich,
bei weiblichen Amtsinhabern die Funktionsbezeichnung in der weiblichen Form („Bürgermeisterin
oder Bürgermeister“) vorzusehen. Ebenso führen weibliche Amtsinhaber auch bei
Fehlen eine entsprechende Regelung die Amtsbezeichnung vielfach in der weiblichen
Form (Bundeskanzlerin“, „Bundesministerin“). Das mag man für sachgerecht und
zulässig halten, beruht aber letztlich auf einer Verwechslung von Amt und Amtsinhaber.
Soweit eine solche Regelung nicht existiert, ist es daher keinesfalls falsch
und unzulässig, die vorgesehene Amtsbezeichnung – hier also „Frau Präsident“ –
zu verwenden.
Ebenso wenig ist es richtig, dass es unzulässig wäre, auf den Ordnungsruf mit der Ankündigung eines Einspruchs zu
reagieren. In der Geschäftsordnung heißt es in § 97 Abs. 2:
„Verletzt ein Mitglied des Landtages die Würde
oder die Ordnung des Hauses, soll der Präsident ihn [sc. wohl „es“] zur Ordnung
rufen. Der Ordnungsruf und der Anlass hierzu dürfen von den nachfolgenden
Rednern nicht behandelt werden. Ist dem Präsidenten eine Ordnungsverletzung entgangen,
so kann er sie in der nächsten Sitzung erwähnen und gegebenenfalls rügen“.
Die Regelung bezieht sich damit zunächst
nicht auf Erklärungen des Betroffenen, sondern nachfolgender Redner. Sie kann
auch nicht ohne Weiteres auf den Betroffenen erstreckt werden, im Gegenteil: Ist
der Betroffene selbst der Redner, so hat er – abgesehen vom Fall des dritten
Ordnungsrufs – anschließend und weiterhin das Wort. Allerdings gehört der
Ordnungsruf typischerweise nicht zu der Sache, die Gegenstand der jeweiligen Rede
ist. Gleichwohl wird beim Sach- und Ordnungsruf gegen einen Redner wegen seiner
Äußerungen ein Sachzusammenhang mit dem Verhandlungsgegenstand zu bejahen sein,
so dass ein kurzes Statement zu dem Ordnungsruf – hier die Ankündigung eines
Einspruchs – nicht als „Abschweifen“ angesehen werden kann; auch wird hierdurch
die Verhandlung nicht nennenswert verzögert oder behindert, so dass keine
Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Landtages zu befürchten ist. Schließlich
ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Sitzungsleitung einen erweiterten
Schutz vor Kritik an Maßnahmen genießen sollte, die die Rechtsstellung des
Abgeordneten berühren. Gegen ein uneingeschränktes Verbot des Kommentierens von Ordnungsrufen bestehen
daher auch verfassungsrechtliche Bedenken, die hier nicht zu vertiefen sind.
Rechtsmittel gegen das Verhalten der Sitzungsleiterin und die Zurückweisung der Einsprüche
durch den Landtag haben daher durchaus Aussicht auf Erfolg. Wer nicht möchte, dass
sich die AfD am Ende über einen solchen Erfolg freuen kann, sollte auch aus
diesem Grunde auf fragwürdige Aktionen wie den hier in Rede stehenden Ordnungsruf besser
verzichten.