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Freitag, 13. Januar 2017

Die drei Ordnungsrufe

Parlamentsrechtlich interessante Dinge ereigneten sich im Dezember im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern: Ein Abgeordneter der AfD, Professor Ralph Weber, im Hauptberuf wohl Inhaber einer Professur (für Arbeitsrecht) an der Universität Greifswald, redete zu Beginn einer Rede die Sitzungsleitung, die die Abgeordnete Sylvia Bretschneider von der SPD innehatte, mit „Frau Präsident“ an. Daraufhin wurde er durch die Sitzungsleitung sofort unterbrochen. Diese erklärte, es entspreche nicht der „Würde des Hauses“, die Präsidentin mit „Präsident“ anzureden. Man habe keinen „Präsidenten“, das könne sich der Redner gerne wünschen, werde aber nicht eintreffen, „weil [sic!] das Präsidium ist weiblich“. Es werde erwartet, dass der Redner die Würde des Hauses achte und die korrekte Anrede verwende. Man werde sich „diese Respektlosigkeit nicht bieten lassen“. Der Redner kündigte daraufhin einen Einspruch gegen die Ordnungsrufe an, woraufhin die Sitzungsleitung wiederum das Wort ergriff und die Lesekompetenz des Redners thematisierte: In der Geschäftsordnung sei „ganz eindeutig“ geregelt, wie sich der Redner zu verhalten habe, wenn er gemahnt werde, die Würde des Hauses zu achten. In der Geschäftsordnung stehe auch drin, „dass die Äußerungen des Präsidiums nicht zu kommentieren sind“. Es wurde daher wegen des Kommentars ein dritter Ordnungsruf erteilt und dem Redner das Wort entzogen. 

Ein Einspruch gegen die Ordnungsrufe ist sodann offenbar am 10. Januar 2017 zurückgewiesen worden.

 Dieses Verhalten der Sitzungsleitung ist unabhängig davon, wie man zur AfD steht, eher grenzwertig: Zunächst ist schon nicht ohne Weiteres feststellbar, worin der Zusammenhang zwischen der Anrede der Sitzungsleitung und der „Würde des Hauses“ besteht. Unabhängig von diesem fraglichen Zusammenhang ist aber jedenfalls festzustellen: Der Redner hat mit der Wendung „Frau Präsident“ die korrekte Anrede verwendet. Die Geschäftsordnung des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern kennt auch in der 7. Wahlperiode keine „Präsidentin“, sondern nur einen „Präsidenten“ sowie Vizepräsidenten und Schriftführer. So heißt es in § 2 der Geschäftsordnung: „Der Präsident führt die Geschäfte des Landtages (Artikel 29 Absatz 3 LVerf.) und vertritt das Land in allen Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten des Landtages (Artikel 29 Absatz 5 LVerf.). Er wahrt die Würde und die Rechte des Landtages, fördert seine Arbeiten und leitet die Verhandlungen gerecht und unparteiisch“.

Diese Regelung schließt selbstverständlich nicht aus, auch eine Person weiblichen Geschlechts mit diesem Amt zu betrauen. Es existiert indes keine Vorschrift, der zufolge in diesem Falle die Amtsbezeichnung in der weiblichen Form geführt wird. Eine solche Regelung ist auch nicht nötig, da die Amtsbezeichnung nichts mit dem Geschlecht des Amtsinhabers zu tun hat. Es handelt sich um eine Funktionsbezeichnung für ein öffentliches Amt, die unabhängig vom Geschlecht des Amtsinhabers ist - zwischen dem Amt und dem Amtsinhaber ist insofern zu unterscheiden. Die Bezeichnung „Bürgermeister“ beispielsweise kennzeichnet ein Amt sowie zugleich eine Behörde; diese hat kein Geschlecht und ist nicht zu verwechseln mit der natürlichen Person, die das Amt innehat. Dessen ungeachtet ist es mittlerweile im Kommunalrecht üblich, bei weiblichen Amtsinhabern die Funktionsbezeichnung in der weiblichen Form („Bürgermeisterin oder Bürgermeister“) vorzusehen. Ebenso führen weibliche Amtsinhaber auch bei Fehlen eine entsprechende Regelung die Amtsbezeichnung vielfach in der weiblichen Form (Bundeskanzlerin“, „Bundesministerin“). Das mag man für sachgerecht und zulässig halten, beruht aber letztlich auf einer Verwechslung von Amt und Amtsinhaber. Soweit eine solche Regelung nicht existiert, ist es daher keinesfalls falsch und unzulässig, die vorgesehene Amtsbezeichnung – hier also „Frau Präsident“ – zu verwenden.

 Ebenso wenig ist es richtig, dass es unzulässig wäre, auf den Ordnungsruf mit der Ankündigung eines Einspruchs zu reagieren. In der Geschäftsordnung heißt es in § 97 Abs. 2:

„Verletzt ein Mitglied des Landtages die Würde oder die Ordnung des Hauses, soll der Präsident ihn [sc. wohl „es“] zur Ordnung rufen. Der Ordnungsruf und der Anlass hierzu dürfen von den nachfolgenden Rednern nicht behandelt werden. Ist dem Präsidenten eine Ordnungsverletzung entgangen, so kann er sie in der nächsten Sitzung erwähnen und gegebenenfalls rügen“.

Die Regelung bezieht sich damit zunächst nicht auf Erklärungen des Betroffenen, sondern nachfolgender Redner. Sie kann auch nicht ohne Weiteres auf den Betroffenen erstreckt werden, im Gegenteil: Ist der Betroffene selbst der Redner, so hat er – abgesehen vom Fall des dritten Ordnungsrufs – anschließend und weiterhin das Wort. Allerdings gehört der Ordnungsruf typischerweise nicht zu der Sache, die Gegenstand der jeweiligen Rede ist. Gleichwohl wird beim Sach- und Ordnungsruf gegen einen Redner wegen seiner Äußerungen ein Sachzusammenhang mit dem Verhandlungsgegenstand zu bejahen sein, so dass ein kurzes Statement zu dem Ordnungsruf – hier die Ankündigung eines Einspruchs – nicht als „Abschweifen“ angesehen werden kann; auch wird hierdurch die Verhandlung nicht nennenswert verzögert oder behindert, so dass keine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Landtages zu befürchten ist. Schließlich ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Sitzungsleitung einen erweiterten Schutz vor Kritik an Maßnahmen genießen sollte, die die Rechtsstellung des Abgeordneten berühren. Gegen ein uneingeschränktes Verbot des Kommentierens von Ordnungsrufen bestehen daher auch verfassungsrechtliche Bedenken, die hier nicht zu vertiefen sind.

 Rechtsmittel gegen das Verhalten der Sitzungsleiterin und die Zurückweisung der Einsprüche durch den Landtag haben daher durchaus Aussicht auf Erfolg. Wer nicht möchte, dass sich die AfD am Ende über einen solchen Erfolg freuen kann, sollte auch aus diesem Grunde auf fragwürdige Aktionen wie den hier in Rede stehenden Ordnungsruf besser verzichten.