Samstag, 19. Dezember 2015
Datenschutz und Selbstbestimmung
In rund 2 Jahren wird das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) Geschichte sein. Ab voraussichtlich 2018 gilt dann europaweit die EU-Datenschutz-GrundVO, auf die sich Rat, Kommission und Parlament Mitte Dezember im „Trilog“-Verfahren grundsätzlich geeinigt haben. Damit wird ein einheitliches europäisches Datenschutzrecht geschaffen, das zugleich verhindert, dass Unternehmen ihre Niederlassungen gezielt in Ländern mit niedrigen Datenschutzstandards errichten. Allerdings ist fraglich, ob dies künftig überhaupt noch nötig sein wird, da die Mitgliedstaaten und ihre Repräsentanten sich bei den Verhandlungen über die Datenschutz-GrundVO erwartungsgemäß den Interessen der Wirtschaft und nicht etwa den Belangen der Bürger verpflichtet fühlten. Angel Merkel wird der diese Haltung kennzeichnende Satz zugeschrieben, dass der „Datenschutz nicht die Oberhand über die wirtschaftliche Verarbeitung der Daten gewinn[en]“ dürfe; damit sind die Prioritäten klar gekennzeichnet.
Gleichwohl geht der Datenlobby der Entwurf natürlich nicht weit genug. So soll nach dem Entwurfstext das formularmäßig erklärte Einverständnis auf Grenzen stoßen und sogar widerrufen werden können; das ist natürlich unerhört. Entsprechende Kritik findet sich jetzt in einem Beitrag von Niko Härting in der LTO, in dem er das hohe Lied der Selbstbestimmung des Bürgers über die (Weiter-) Verwendung seiner Daten durch einen Vertragspartner anstimmt. Das zeugt einerseits von erheblicher Dreistigkeit bei der Verdrehung der Problemlage, zugleich aber auch von der Dürftigkeit der Argumente der datenverarbeitenden Wirtschaft. Zwei zentrale Punkte der Kritik am Entwurf seien an dieser Stelle aufgegriffen:
1. Der Autor beruft sich ernsthaft auf das Recht des Verbrauchers zur Selbstbestimmung. Dabei wird ausgeblendet, dass es sich bei zwingendem Recht zum Schutz eines Vertragsteils um ein verbreitetes Phänomen im Vertragsrecht handelt und es bei pauschalierenden Regelungen im „Massengeschäft“ auf die Schutzwürdigkeit im Einzelfall nicht ankommen kann. Mehr als befremdlich ist es auf dieser Grundlage aber, dass das Ende der Selbstbestimmung dann erreicht sein soll, wenn der Verbraucher seine Einwilligung selbstbestimmt widerruft. Dass das einmal erteilte Einverständnis unbefristet und unwiderruflich gelten soll, zeigt einmal mehr, worum es eigentlich geht. Das Interesse an der uneingeschränkten Nutzung der Daten des Bürgers für ökonomische Zwecke: Soziale Netzwerke sind nicht "kostenlos", der Nutzer zahlt mit seinen Daten.
2. In dem Beitrag wird vollständig ausgeblendet (oder verschwiegen), dass Daten dahe auch nicht nur für Abrechnungszwecke gespeichert, sondern schon heute mit dem Ziel der Entwicklung von Nutzerprofilen verknüpft und ausgewertet werden. Gerade dem Schutz der Minderjährigen kommt daher besondere Bedeutung zu. Dieser beruht auf der Annahme, dass Minderjährige die Konsequenzen einer erteilten Einwilligung noch nicht vollständig überblicken können. Auch kann eine Speicherung sowie Aus- und Verwertung der Daten junger Menschen für einen letztlich kaum noch zu überblickenden Zeitraum erfolgen. Die Kritik an einer (unteren) Altersgrenze von 16 Jahren für eine wirksame Einwilligung ist daher verfehlt, die Grenze eher zu niedrig angesetzt.
Sonntag, 22. November 2015
Das wird man doch wohl noch singen dürfen...
Bislang war der Sänger Xavier Naidoo eher durch eine Form
der Betroffenheitslyrik aufgefallen, die von ferne an Gesang gemahnt, bei
näherem Hinhören aber nur eine hektische Suche nach Ab- oder Umschaltknöpfen
auszulösen vermochte. Dies ist indes eine hinreichende Qualifikation, um
von der öffentlich-rechtlichen Künstlerverwaltung
des NDR für eine internationale Veranstaltung ausgesucht zu werden, in der Künstler
aus dem Werk- und Wirkbereich der Musik als Repräsentanten ihres Landes in
einen bizarren Wettbewerb um Länderpunkte geschickt werden.
Oder auch nicht: Nachdem die Nominierung zum ESC unter
Hinweis insbesondere auf zwei Reden, die der Sänger am 3. Oktober 2014 in Berlin
gehalten hat, sowie zweifelsfrei antisemitische Textstellen als Teil verschwörungstheoretischen
Liedguts („Raus aus dem Reichstag“) in einem auch sonst außerordentlich befremdlichen
Œuvre scharf kritisiert worden ist, wurde die Nominierung kurzerhand wiederzurückgezogen.
Das soll nun aber auch wieder nicht richtig sein. Es liegt
nahe, dass diejenigen, die ohnehin die Annahmen der Reichsbürger und vergleichbarer
Verschwörungstheoretiker verbreiten, in der Kritik an der Nominierungsentscheiung und dem nachfolgenden Rückzug des NDR gerade die dunklen
Mächte am Werke sehen, auf die auch der Sänger gern verweist. Aber auch anderweitig wird dem NDR nun mangelnde Standfestigkeit vorgeworfen. In diesem
Zusammenhang immer wieder gern bemüht: Die Meinungsfreiheit gerade auch des
Künstlers.
Das allerdings ist verfehlt: Das Grundrecht der Meinungsfreiheit
schützt die Möglichkeit, Meinungen in „Wort, Schrift oder Bild“ sowie auch mittels
gesangartiger Darbietungen zu verbreiten. Dieses Recht unterliegt nur äußersten
Grenzen zum Schutze kollidierender Rechtsgüter, die durch Art. 5 Abs. 2 GG
vorgezeichnet und etwa durch das Strafrecht (Beleidigungsdelikte, Volksverhetzung)
konkretisiert werden. Entgegen einer in rechtspopulistischen Kreisen offenbar
verbreiteten Sichtweise gehört zum Grundrecht aber weder ein Anspruch auf Gehör
noch auf Folgenlosigkeit des eigenen Tuns.
Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass dem Sangeskünstler Naidoo
die Möglichkeit der Verbreitung obskurer Thesen einschließlich in rechten Kreisen
wohlfeiler Angriffe gegen Vertreter des politischen Systems in irgendeiner
Form genommen würde. Wenn Menschen oder Institutionen eine Meinungsäußerung
eines Anderen zur Grundlage von Entscheidungen machen, etwa Verträge nicht
schließen, nicht verlängern oder gar kündigen, so verwirklicht sich indes nur
ein mit jeder Meinungsäußerung einhergehendes Risiko, vor dem das Grundgesetz unabhängig
von der Frage nach den Grundrechtadressaten in keinem Falle schützt. Problematischer ist
dies zwar, wenn die öffentliche Verwaltung, zu der auch der öffentlich-rechtliche
Rundfunk gehört, auf Meinungsäußerungen reagiert, da hier eine
Neutralitätspflicht auch in Bezug auf Meinungsäußerungen besteht. Dies hindert
indes nicht, die Positionen eines Künstlers zu berücksichtigen, wenn dieser als
Vertreter der ganzen Nation an einem internationalen Wettbewerb teilnehmen
soll, mag dieser auch noch so seltsam sein.
Dass der NDR nach der Auswahl eines ungeeigneten
Repräsentanten die Notbremse gezogen hat, ist daher rechtlich nicht zu
beanstanden.
Mittwoch, 21. Oktober 2015
Eine Lanze für die „Bild“
Die „Bild“ hat gestern eine Doppelseite einem ausdrücklich
als solchen bezeichneten „Pranger“ gewidmet, auf dem eine größere Zahl
rechtsgerichteter und / oder fremdenfeindlicher Äußerungen unter Nennung des
Namens der Urheber aufgeführt waren, die zunächst in sozialen Netzwerken –
namentlich Facebook – veröffentlicht worden sind. In dem Begleittext wird ein
Zusammenhang zwischen geistiger Brandstiftung und daran anknüpfenden Taten
hergestellt („Aus Haßparolen wird Gewalt“), wie er im Anschluss an das Attentat
auf die (zwischenzeitlich gewählte) Kölner OB-Kandidatin H. Reker auch anderweitig formuliert worden ist.
Aber die „Bild“ kann machen, was sie will: Sie macht sich
keine Freunde. Zu Recht wird verschiedentlich hervorgehoben, dass es gerade
angesichts jahrelanger Desinformationskampagnen (nicht nur) in Bezug auf
Muslime gerade der „Bild“ gut anstünde, sich nicht zu sehr über andere zu
erheben. Die Angelegenheit wird indes auch aus rechtlichem Blickwinkel
kritisiert. So sieht „bildblog“ die „Bild“ im Mittelalter verweilen und
kritisiert unter Bezugnahme auf eine anwaltliche Stellungnahme eine Verletzung
von Persönlichkeitsrechten und einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung.
Anderswo sieht man das ähnlich: Auf der Website des Kopp-Verlages sieht man
ebenfalls die Meinungsfreiheit „zurück im Mittelalter“ und kritisiert eine
„Schnellverurteilung“. Auch die sonst üblichen Stichworte im Falle von Kritik
an „abweichenden“ Meinungen fehlen dort natürlich nicht („Klima der Angst“, „Denkverbote“,
„Zensur“).
Der „bildblog“, heute Arm in Arm mit den rechtsgerichteten
Verschwörungstheoretikern vom Kopp-Verlag im tapferen Kampf gegen den
Tugendterror der „Bild“ – bewaffnet mit Meinungsfreiheit,
Unschuldsvermutung und Persönlichkeitsrechten?
Was ist da los? Ist das Ganze wirklich empörend und auch rechtlich fragwürdig?
Im Ergebnis dann doch eher nicht.
Die „Bild“ veröffentlicht Aussagen von Personen unter Nennung ihres Namens, die von den Urhebern selbst unter Angabe des Klarnamens in
einem sozialen Netzwerk veröffentlich wurden.
Es darf daher bezweifelt werden, dass die – zunächst einmal isoliert
betrachtete – Veröffentlichung einer von dem Urheber anderweitig
veröffentlichen Äußerung in einer Zeitung geeignet ist, die
Persönlichkeitsrechte des Urhebers zu verletzen. Wer sich öffentlich äußert,
läuft Gefahr und muss damit rechnen, dass andere die Äußerung zur Kenntnis
nehmen und auch weitertragen; dies kann dann auch in der „Bild“ geschehen“. Ein
schutzwürdiges Interesse, dabei nicht namentlich genannt zu werden, ist
ebenfalls nicht ohne Weiteres zu erkennen, wenn die betreffende Äußerung von
ihrem Urheber offen unter Angabe des Namens getätigt wurde.
Die weitere Frage ist aber, ob dies auch im Kontext eines
„Prangers“ geschehen darf. Indes: Der treuherzige Spruch, man werde irgendetwas
„doch noch mal sagen dürfen“, geht typischerweise am Thema vorbei, weil man
selbstverständlich alles Mögliche sagen darf, solange die – zu Recht eng
gezogenen – Grenzen der Strafbarkeit wegen Beleidigungsdelikten (§§ 185 ff.
StGB) oder Volksverhetzung (§ 130 StGB) nicht überschritten werden. Der Wunsch,
etwas „noch mal sagen zu dürfen“, zielt daher letztlich darauf ab, etwas auch
im Übrigen ungestört und folgenlos – am besten auch noch unkritisiert – sagen
zu dürfen.
Das aber ist eine grobe Fehlvorstellung: Wer sich mit
Meinungsäußerungen oder gar Statements des von der „Bild“ offengelegten Kalibers
in die Öffentlichkeit begibt, kann nicht erwarten, dass derartige Äußerungen
unwidersprochen bleiben. Ein Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit, mit Zensur
oder Denkverboten besteht entgegen dem zielsicher neben der Sache liegenden
Kommentar auf der Seite des Kopp-Verlages gerade nicht, denn andere
gesellschaftliche Kräfte einschließlich der Medien haben weder Befugnis noch
Möglichkeit, das Äußern oder Publizieren von Meinungen zu zensieren oder zu
verbieten. Sie sind andererseits aber auch nicht verpflichtet, Äußerungen stets
gutzuheißen oder unkommentiert zu belassen. Vielmehr ist es gerade eine
Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit, die Ablehnung einer Äußerung zum Ausdruck
zu bringen oder auch deren Strafwürdigkeit zu postulieren.
Es besteht daher letztlich auch kein Zusammenhang mit der
Unschuldsvermutung: Dass die „Bild“ verbindlich über die Strafbarkeit der
inkriminierten Äußerungen entscheiden könne, wird selbst der durchschnittliche
„Bild“-Leser nicht annehmen. Auch die Unschuldsvermutung schützt daher nicht
davor, dass eine nichtstaatliche Stelle wie die „Bild“ die Ablehnung einer
Äußerung zum Ausdruck bringt oder gar deren Strafbarkeit postuliert; ein
Übergriff in die Kompetenzen der Strafverfolgungsbehörden steht bei einer
Aufforderung zu deren Eingreifen ebenfalls nicht in Rede. Schon logisch unrichtig
ist weiter, dass mit der Veröffentlichung der Namen potentieller Straftäter
zugleich eine Verurteilung erfolge. So darf bezweifelt werden, dass es ein
Anlass für Kritik wäre, wenn jemand erklärte, dass das von dem Schriftsteller
A. Pirinçci soeben in Dresden geäußerte Bedauern über den Nichtbetrieb von KZ in
Deutschland den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle, denn auch eine solche
Reaktion auf die Entgleisung dieses Autors wäre selbstverständlich eine
Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit. Der „Pranger“ der „Bild“ greift auch
nicht „tief in die Grundrechte der einzeln aufgeführten Personen ein“. Dies ist
schon deshalb gar nicht möglich, weil die „Bild“ nicht zu den
Grundrechtadressaten i.S.v. Art. 1 Abs. 3 GG zählt.
Man kann natürlich mit dem „bildblog“ die Frage stellen, was
die „Bild“ mit ihrer Aktion bezweckt und ob ein solcher „Pranger“ für
irgendetwas gut ist. Im Ergebnis ist der „Bild“ jedenfalls eine Provokation
gelungen. Mit „Denkverboten“, „Zensur“ oder Einschränkungen der
Meinungsfreiheit hat der „Pranger“ aber nichts zu tun; auch die
„Unschuldsvermutung“ oder Persönlichkeitsrechte werden nicht berührt. Ein Grundrechts-Biotop, in dem rassistische
Äußerungen kritikfrei gedeihen dürfen, existiert nicht.
Abonnieren
Posts (Atom)