Hans-Martin Tillack, beim „Stern“ nach eigenem Bekunden
zuständig für investigative Recherche, meint Grund zur Freude zu haben, weil sich die FDP verrechnet habe. Der
Stern habe die FDP verklagt und beim Landgericht Hamburg eine einstweilige
Verfügung durchgesetzt, denn die FDP habe sich etwas „geleistet“, was „unüblich“
sei: Die „Stern“-Redaktion richtete offenbar einen Fragenkatalog betreffend aktuelle Recherchen im Bereich der Parteienfinanzierung an die FDP,
den die FDP nicht nur pflichtschuldigst beantwortet, sondern mit den Antworten auch
gleich selbst publiziert hat. Das ist natürlich unerhört und verletzt das Urheberecht
an den Fragen – eine einstweilige Verfügung des LG Hamburg war denn auch schnell
zu erreichen.
Nun ist die Freude über einstweilige Verfügungen angesichts deren
vorläufigen Charakters regelmäßig kein Ausweis besonderer Sachkunde. Immerhin
lässt die urheberrechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglicherweise auch
eine andere Sichtweise zu: Die Antworten der FDP auf die Fragen des „Stern“
sind ihrerseits urheberrechtlich geschützt; über die separate Veröffentlichung der
Antworten kann daher die FDP allein entscheiden. In Betracht kommt daher, auch
die Veröffentlichung der Fragen für zulässig zu halten, weil die Kenntnis
von den Fragen notwendig ist, um dem Leser das Verständnis der Zusammenhänge zu
ermöglichen. Dies mag hier aber dahingestellt bleiben, denn die zentrale Frage ist,
welches Problem der „Stern“ eigentlich damit hat, wenn eine Person oder Partei,
die Gegenstand einer „Stern“-Recherche ist, diesen Sachverhalt einschließlich
der Fragen und Antworten öffentlich macht.
Hans-Martin Tillack nennt zwei Gründe (die hier vorsorglich
nur in groben Zügen wiedergegeben, aber nicht zitiert werden): Zunächst heißt
es, die Fragen spiegelten einen nur vorläufigen Erkenntnistand wider und seien nicht für die „digitale Ewigkeit" gedacht. Dieses Argument liegt erkennbar
neben der Sache: Eine Frage zielt darauf ab, eine Information, die dem Fragenden
fehlt, von jemandem zu erlangen, der diese Information (mutmaßlich) hat. Schon
der Umstand, dass es sich um eine Frage handelt, macht daher das Fehlen eines
endgültigen und damit das Vorhandensein eines nur vorläufigen
Informationsstandes deutlich. Jeder Leser kann erkennen, dass ein nur möglicher
Sachverhalt verifiziert – oder eben falsifiziert – werden soll, wenn nicht –
regelmäßig ebenfalls erkennbar – eine in Frageform gekleidete Unterstellung
(„Ist es nicht so, dass…“) vorliegt. Die
Behauptung, durch die Publikation einer Frage könne der von einer Recherche Betroffene
einen feststehenden Sachverhalt – statt nur einer Möglichkeit – behaupten, ist
daher unter jedem denkbaren Aspekt mindestens fernliegend. Auch die Speicherung
eines vorläufigen Kenntnisstandes als solcher in den Abgründen der digitalen
Ewigkeit bleibt rechtlich irrelevant, weil ihm hiermit keine sachliche „Endgültigkeit“
zuwachsen kann.
Worum es eigentlich geht, signalisiert der zweite Aspekt,
mit dem Herr Tillack auf wirtschaftliche Interessen verweist: Journalisten
müssten selbst entscheiden können, wann sie Erkenntnisse veröffentlichten, um
„andere“ – einschließlich der Konkurrenz – nicht zu warnen: Nur wem neue
Informationen geboten würden, werde für Inhalte auch bezahlen wollen. Was damit
unverblümt geltend gemacht wird, ist ein pekuniäres Interesse an der
Skandalisierung. Blickt man auf das investigative Schaffen des Herrn Tillack,
so muss sich denn auch der Eindruck aufdrängen, dass gelegentlich eine
Skandalisierung des Banalen, wenn nicht gar des Belanglosen stattfindet.
Offenbar ist Herr Tillack aber auch ernsthaft der Meinung,
dass es dem Adressaten von Vorwürfen verwehrt werden könne, sich präventiv zur
Wehr zu setzen, damit das (Sensations‑) Interesse der Öffentlichkeit an
wirklichen oder vermeintlichen Skandalen exklusiv befriedigt werden kann. Ein
Interesse an der Vermeidung präventiver Gegenwehr ist indes weder
urheberrechtlich schutzwürdig noch in anderer Weise rechtlich geschützt und mit
Mitteln des Urheberechts auch nicht zu verteidigen: Selbst wenn die Veröffentlichung
des Fragenkatalogs unzulässig sein sollte, steht es dem Adressaten doch frei, jederzeit
selbst an die Öffentlichkeit zu gehen und zu dem in Rede stehenden
Sachverhalt öffentlich Stellung zu nehmen. Das Vorgehen gegen einen
Fragenkatalog und die abwegige Idee, eine öffentliche Stellungnahme eines
Betroffenen zum Gegenstand investigativer Ermittlungen zu verhindern, haben daher
wenig bis nichts miteinander zu tun.
Die vom „Stern“ erwirkte einstweilige Verfügung ist daher
ein untaugliches Mittel zum Zwecke der Verfolgung eines nicht schutzwürdigen
Zwecks: Dem „Stern“ geht es in der Sache nicht um sein Urheberecht, sondern um
die Deutungshoheit, frei nach dem Motto: „Was ein Skandal ist, bestimmen wir“.
Damit sollten Herr Tillack und der „Stern“ nicht durchkommen.