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Donnerstag, 18. Dezember 2014

Grundrechte für Grundschüler



Die Landeszentrale für politische Bildung des Landes Baden-Württemberg will auch Grundschüler über Grundrechte informieren und hat dazu eine Grundrechte-Fibel vorgelegt, in der zwei Comic-Figuren (ein Dachs und ein Rabe) die Grundrechte erläutern, um „Grundschulkinder an die Inhalte und die Bedeutung unserer Grundrechte heranzuführen“. Das ist zunächst einmal eine gute Idee. Auch muss die Vermittlung von Wissen über Grundrechte hier mit Blick auf die Zielgruppe auf Kosten der Genauigkeit gehen. Vereinfachungen und Vergröberungen sind der Preis der Verständlichkeit, so dass es sich verbieten dürfte, die grundrechtsdogmatische Lupe zu polieren um auf dieser Grundlage zur Textkritik zu schreiten. So mag man darüber hinwegsehen, dass es in der Einleitung heißt, „der deutsche Staat“ – gemeint ist hier allein der westdeutsche Staat“ sei nach dem zweiten Weltkrieg „neu gegründet“ (statt: neu organisiert) worden (S. 13).

Gleichwohl gibt die Broschüre auch Anlass zu kritischen Fragen. Im lawblog wurde bereits darauf aufmerksam gemacht, dass die Passagen zu Art. 8 GG die unzutreffende Behauptung enthalten, wer für oder gegen etwas protestieren wolle, müssen dies vorher beim Rathaus anmelden und genehmigen lassen, und das mache auch Sinn, denn „wenn viele Menschen an einer Demonstration teilnehmen, muss die Polizei vorher die Straße sperren, damit keine Unfälle passieren“ (S. 52). 

Dieser grobe Schnitzer ist aber noch steigerungsfähig: So wird die Versammlungsfreiheit sodann in einer Sprechblase dahin erläutert, das Versammeln werde den Menschen durch die Versammlungsfreiheit „ausdrücklich erlaubt“. Auch das ist grob falsch: Das Durchführen von Versammlungen ist kein Verhalten, dass verboten wäre, wenn man den Grundrechtsschutz aus Art. 8 hinwegdenkt. Vielmehr handelt es sich um ein den Menschen kraft ihrer (natürlichen) Handlungsfreiheit grundsätzlich mögliches Verhalten, dass zunächst keiner Erlaubnis bedarf. Ein von einer Grundrechtsnorm erfasstes Verhalten wird durch das Grundrecht nicht erlaubt, das Grundrecht als Abwehrrecht statuiert vielmehr Anforderungen an die Rechtfertigung von Einschränkungen der grundrechtlich geschützten Freiheit – Grundrechte sind keine Erlaubnisnormen.

Dieser Punkt ist für das Verständnis der Grundrechte entscheidend und deshalb mehr als Wortgeklingel, denn das Verständnis der Grundrechte als Erlaubnsnormen basiert auf der obrigkeitsstattlichen Prämisse, jedes nicht ausdrücklich (durch Grundrechte oder anderweitig) erlaubte Verhalten sei prima facie verboten. Er illustriert damit das zentrale Problem der Grundrechtefibel: Diese ist getragen von einem reaktionären Paternalismus, in der einer Verpflichtung des Staates zur Respektierung grundrechtlich gewährleisteter Rechtsgüter und Freiräume nur am Rande vorkommt. So wird beispielsweise Art. 3 GG dahin erläutert, dass der Gleichheitssatz der Polizei verbiete, bei Verkehrsverstößen ein „Auge zuzudrücken“. Dieses Beispiel betrifft nicht nur kein Gleichheitsproblem (sondern einen Fall des Art. 20 GG), es zeigt zugleich, dass ein Beispiel für ein Recht des Bürgers auf Gleichbehandlung offenbar außerhalb der Vorstellungswelt der Autoren lag. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen…

Über die Gründe für die vielfältigen Fehl- und Missgriffe lässt sich nur spekulieren. Immerhin fällt auf, dass die Grundrechtefibel offenbar vo 4 Jahren von dem damaligen niedersächsischen CDU-Innenminister Schünemann „in Zusammenarbeit mit Baden-Württemberg“ als Präventionsprojekt desVerfassungsschutzes gegen extremistische Bestrebungen initiiert worden ist. Die Darstellung der Verfassung ausgerechnet dem Verfassungsschutz zu überlassen – das konnte offenbar nur schiefgehen.