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Donnerstag, 23. Oktober 2014

Wilder Westen in Bremens Norden



Im Stadtstaat Bremen (genauer: in der Stadtgemeinde Bremen) existieren Stadtteilparlamente (Beiräte), die insbesondere die Belange der Stadt- und Ortsteile gegenüber der Zentralverwaltung geltend machen sollen und analog den kommunalen Vertretungsorganen in Flächenstaaten konstituiert sind. In einem dieser Gremien ist es jetzt zu einem Lehrstück über den Missbrauch von Mehrheiten für parteipolitische Machtspiele gekommen, der das staunende Publikum offenen Mundes zurücklässt. 

Der Beirat des nordbremischen Ortsteils Blumenthal hatte sich mit einem Bürgerantrag und einem Antrag der Fraktion „Bündnis ‘90/Die Grünen“zu befassen, die auf den Abbau einer Videoanlage zur Überwachung eines Bolzplatzes zielten; dieser Bolzplatz wird von einem Verein finanziert und getragen. In der betreffenden Sitzung Mitte September stellte sich heraus, dass insgesamt vier der Beiratsmitglieder dem Verein (bzw. deren Vorstand) angehören. Diese Beiratsmitglieder erklärten sich für „befangen“. Damit gemeint ist das Vorliegen eines Mitwirkungsverbots, das nach § 20 Abs. 2 Nr. 4 des Beirätegesetzes (nur) dann eingreift, wenn ein Beiratsmitglied als Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer(in) eines Vereins oder Verbandes an einer Sache „unmittelbar beteiligt“ ist. 

Sodann wurden die beiden Mitglieder der Beiratsfraktion von „Bündnis 90/Die Grünen“ unter Berufung auf eine entsprechende Rechtsauskunft der Senatskanzlei gleich mit ausgeschlossen: Einem Mitglied widerfuhr dies, weil es sich nicht nur kritisch zu der Videoüberwachung geäußert, sondern auch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet hatte, das andere Beiratsmitglied traf der Bannstrahl, weil es sich um die Mutter des vorgenannten Beiratsmitglieds handelt. 

Die Senatskanzlei hat bestätigt, eine solche Auskunft tatsächlich erteilt zu haben. Das überrascht, weil die Annahme eines Mitwirkungsverbots in diesem Falle nicht einmal ernsthaft diskussionswürdig ist: Das Mitwirkungsverbot des Beirätegesetzes – eine Befangenheit kennt das Berätegesetz ebenso wenig wie das Kommunalrecht – ist analog den Mitwirkungsverboten in Kommunalverfassungen konzipiert. Es setzt voraus, dass die Entscheidung dem ausgeschlossenen Beiratsmitglied oder einem nahen Angehörigen einen „unmittelbaren Vor- oder Nachteil“ bringen könnte. Hier ist aber schon nicht ersichtlich, welcher individuelle Vor- oder Nachteil für ein Beiratsmitglied aus einer Sachentscheidung über Anträge auf Abbau der Videoanlage resultieren soltte. Entgegen der Ansicht der Senatskanzlei kann insbesondere aus einer Anzeige eines Sachverhaltes bei der Staatsanwaltschaft für sich genommen kein persönlicher Vorteil aus einer Beiratsentscheidung bezüglich des angezeigten Sachverhalts resultieren, denn bei einer solchen „Anzeige“ handelt es sich lediglich um eine Mitteilung, kombiniert mit einer Aufforderung zur Sachverhaltsprüfung. Erst recht steht kein „unmittelbarer“ Vor- oder Nachteil durch eine Beschlussfassung im Raum, denn ein solcher Vor- oder Nachteil muss ohne weitere Zwischenschritte direkt aus der Beschlussfassung oder deren Umsetzung resultieren. Ein wie auch immer gearteter – oder gar unmittelbarer – Zusammenhang zwischen einer Beschlussfassung über einen (Bürger-) Antrag und einer Einschaltung der Staatsanwaltschaft besteht indes nicht.
Dass es hier an einem unmittelbaren Zusammenhang fehlt, hatdie Senatskanzlei denn auch später selbst erkannt und den Beirat aufgefordert, den Beschluss über den Ausschluss der Mitglieder der Fraktion „Bündnis ‘90/Die Grünen“zu korrigieren. Bei der SPD-Beiratsfraktion demonstrierte man indes – wohl im Interesse der Mehrheitssicherung – Halsstarrigkeit: Eine Aufhebung der Ausschlusses der grünen Beiratsmitglieder wurden in der Oktobersitzung des Beirates ausdrücklich abgelehnt – unter Mitwirkung der zuvor ausgeschlossenen Beiratsmitglieder. Nach Lage der Dinge dürfte dieser Beschluss nunmehr eine rechtsaufsichtliche Intervention zur Folge haben; auch wird es an der Wirksamkeit der jetzt gefassten Beschlüsse fehlen, mit denen die Anträge auf Abbau der Videoanlage abgelehnt wurden. Die Sache bleibt also auf der Tagesordnung.