Wenige Tage nach
dem Brexit-Beschluss in Großbritannien ergibt sich eine bemerkenswerte
Umkehrung der Gegebenheiten: Während die Brexit-kritischen EU-Organe zur Eile drängen und einen kurzfristigen „Austrittsantrag“ innerhalb weniger Tage erwarten,
haben es die austrittsfreudigen Briten nicht besonders eilig; eine Erklärung zum
Austritt ist danach frühestens im vierten Quartal zu erwarten – wenn sie denn
noch in diesem Jahr erfolgen wird; in der Zwischenzeit soll ein Austritt aber schon
mal vorbereitet werden.
Beide Konzepte
sind mit Art. 50 EUV nicht zu vereinbaren:
1. Nach Art. 50
Abs. 1 EUV kann ein Mitglied der EU „im Einklang
mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union
auszutreten“. Fasst ein Mitgliedstaat einen solchen Beschluss, so teilt er dies
dem Europäischen Rat mit (Art. 50 Abs. 2 Satz 1 EUV). Man wird diese Regelung
zwangslos dahin interpretieren können, dass sie eine Rechtspflicht zu einer
solchen Mitteilung normiert, so dass die betreffende Erklärung wie auch deren Zeitpunkt
nicht im Belieben des Mitgliedstaates stehen können. Indes fehlt es bislang an
einem Beschluss im Sinne von Art. 50 Abs. 1 EUV, denn das am 23. Juni im (noch) Vereinigten Königreich durchgeführte Referendum hat rechtlich nur die Bedeutung einer unverbindlichen Volksbefragung. Ein
Beschluss über den Austritt i.S.v. Art. 50 Abs. 1 EUV existiert daher bislang gar nicht, so
dass auch keine solche Entscheidung gem. Art. 50 Abs. 2 Satz 1 EUV angezeigt
werden kann. Die Forderung nach einer unverzüglichen Austrittsanzeige liegt folglich
neben der Sache.
2. Solange weder
ein Austrittsbeschluss noch eine entsprechende Anzeige vorliegen, besteht auch
weder Möglichkeit noch Anlass, Bedingungen des Ausscheidens zu verhandeln;
vielmehr setzt Art. 50 Abs. 2 EUV einen Austrittsbeschluss i.S.v. Art. 50 Abs.
1 EUV erkennbar voraus.
Es ist daher zunächst Sache der Briten zu entscheiden, ob und wie mit
dem Votum umgegangen wird und ob ein Austrittsbeschluss gefasst werden soll. Dass
dies überhaupt geschehen wird, versteht sich aber nicht einmal von selbst. Angesichts
des Erschreckens über das Ergebnis des Referendums ist vielmehr auch denkbar,
dass einige Zeit nichts geschieht, um später unter Hinweis auf geänderte
Gegebenheiten von einem Austrittsbeschluss abzusehen.