Es gibt Ereignisse, die sind so singulär, dass man sich
fragt, ob es sie überhaupt schon gegeben hat. Dazu gehört die jetzt erfolgte
Beendigung eines acht Jahre währenden Strafverfahrens mit einem Freispruch, der
auf einem Fortfall der Strafbarkeit beruht.
Zum Hintergrund: Im Jahre 2009 wurde im Anschluss an einen
verwaltungsrechtlichen Vorgang aus dem Jahre 2006 ausnahmsweise wegen eines
daran anknüpfenden Strafvorwurfs eine Strafverteidigung übernommen. Der
Tatvorwurf lautete auf einen Verstoß gegen die Chemikalien-Verbots-Verordnung. 2011 wurde die Angelegenheit erstinstanzlich vor einem norddeutschen Amtsgericht
mit zahlreichen Zeugen und Sachverständigen in insgesamt rund einem Dutzend
Terminen verhandelt. 2012 folgte ein Berufungsverfahren, erneut mit zahlreichen
Zeugen und Sachverständigen, das mit einem teilweisen Freispruch und einer
teilweisen Verurteilung endete. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft und des
Angeklagten kam es 2013 nach Anhörung von Sachverständigen durch das OLG zur Aufhebung
und Rückverweisung, an die 2014 eine Wiederholung der Berufungsverhandlung
anschloss. Auf die Revision diesmal nur des Angeklagten ist auch das zweite Berufungsurteil
Ende 2014 aufgehoben und die Sache erneut zurückverwiesen worden.
Im Rahmen der bislang insgesamt fünf Durchgänge war der Tatvorwurf
bereits auf einen Vorgang von untergeordneter Bedeutung zusammengeschmolzen.
Umgekehrt hatten sich die Rechtsfragen eher vergrößert. So war im Verfahren die
Verfassungsmäßigkeit der Verweisungen in der Strafnorm (§ 27 ChemG) auf eine
Rechtsverordnung, die ihrerseits EU-Recht in Bezug nimmt, thematisiert worden,
ohne dass die Gerichte dem besondere Aufmerksamkeit geschenkt hätten; insoweit
wären etwaige Konsequenzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum
Rindfleischetikettierungsgesetz vom 3. November 2016 (2 BvL 1/15) im dritten Berufungsdurchgang
zu thematisieren gewesen; daneben stand eine komplexe Irrtumsproblematik im Raum.
Anfang Februar 2017, 11 Jahre nach der angeblichen
Tathandlung, kam es zu der erneuten Berufungsverhandlung. Am 27. Januar 2017
ist jedoch eine Neufassung der Chemikalien-Verbots-Verordnung vom 20. Januar
2017 (BGBl. I S. 94) in Kraft getreten. Anders als das bisherige Recht beschränkt
sich die Neufassung im Wesentlichen auf einen (deklaratorischen) Verweis auf
das EU-Recht; es werden nur noch wenige eigenständige Tatbestände in der Anlage
1 zur Chemikalien-Verbots-Verordnung aufgeführt, die hier nicht einschlägig
sind.
Damit war die Strafbarkeit entfallen, denn der in Rede
stehende Vorgang wird vom EU-Recht nicht erfasst; die bisherige Strafbarkeit beruhte
auf einer über das EU-Recht hinausgehenden (und völlig überzogenen) Sanktionierung
bestimmter Verhaltensweisen durch die vorangegangene Chemikalien-Verbots-Verordnung,
die 2002 durch die rot-grüne Bundesregierung eingeführt worden war. Der
Fortfall der Strafbarkeit für die Zukunft ist auch für die Vergangenheit
beachtlich (§ 2 Abs. 3 StGB).
Nachdem Gericht und Staatsanwaltschaft auf die veränderte
Rechtslage aufmerksam gemacht worden waren, war das Verfahren daher schnell zu
Ende. Auf weitere Erörterungen und Beweisaufnahmen konnte verzichtet werden;
Staatsanwaltschaft und Verteidigung beantragten übereinstimmend Freispruch, der
antragsgemäß erfolgte. Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Ein nicht alltägliches Ende eines überlangen Verfahrens.